Verantwortlich: Michael Stollwerk
Bereitgestellt: 08.03.2023
Die "Föifliberpredigt"
Im Folgenden finden Sie die Verschriftlichung der "Fünfliberpredigt" zum Nationalfeiertag am 1.August 2022. Sie kann vom mündlichen Vortrag in Einzelheiten abweichen. (Lesezeit ca. 15 Minuten)
Michael Stollwerk,
Vorbemerkung:
Unmittelbar vor der Predigt wurde jedem Gottesdienstteilnehmer in einem liturgischen Akt eine Fünffranken Münze mit den Worten «Fürchte Dich nicht!» feierlich überreicht.
Liebe Gemeinde,
ich wüsste ja gerne, was Sie eben gedacht haben, als Sie nach vorne gekommen sind und von Marian und mir so einen Föifliber bekommen haben. Noch dazu feierlich überreicht wie eine Hostie beim Abendmahl und mit den Worten versehen: „Fürchte Dich nicht!“
Vielleicht haben Sie gedacht: „Jetzt sind die Beiden wohl endgültig durchgeknallt. Von dem Stollwerk hat man solche Stories ja schon gehört – aber der Benkovic….? Der arme Pfarrer Benkovic!“
Vielleicht haben Sie aber auch gedacht: „Endlich! - Endlich ist die Kirche auch in der Realität angekommen. Endlich haben sie gemerkt, was vielen Menschen heutzutage wirklich wichtig ist! Guter Marketing-Gag – mit Speck fängt man bekanntlich Mäuse!“
Liebe Gemeinde, ich darf Ihnen verraten: So naheliegend solche Gedanken auch sein mögen, mit beiden Deutungen liegen sie gründlich daneben!
Der „Fünfliber“ selbst ist nämlich dafür verantwortlich, dass wir Ihnen den heute am Nationalfeiertag in die Hand gedrückt haben. Und das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist schlicht: Diese Münze hat Geburtstag. Denn genau hundert Jahre ist es her, dass der Liber in seiner heutigen Form nach einem Entwurf des in Richterswil geborenen Bildhauers Paul Burkhard geprägt wurde. Seit 1922 also begleitet der Föifer unsere Eidgenossenschaft über alle Höhen und Krisen der Geschichte hinweg bis zum heutigen Tag. Und dabei ist er nicht nur stabil geblieben, sondern hat im Vergleich zu seinen Pendants, dem Dollar, dem Euro, Rubel oder Yen überall in der Welt sogar enorm an Wert zugelegt. Durchaus ein Grund zum Feiern an einem Tag wie heute.
Der Franken also als Garant für Sicherheit und Wohlstand? Wenn nicht sogar für mehr? Wie etwa für Unabhängigkeit, Glück und Freiheit?
Nicht wenige unserer Mitbürger und politisch Verantwortlichen scheinen ja dieser Meinung zu sein. Weshalb z.B. das Schweizer Bankgeheimnis über Jahrzehnte fast besser gehütet worden ist als die Kronjuwelen der Queen im Tower of London. Und auch so mancher Hochbetagte in unserem Land beschäftigt sich mehr mit seinen Vermögenswerten als mit der Frage, wo er denn demnächst die Ewigkeit verbringen möchte.
Aber, liebe Gemeinde, es ist der Franken selbst, der sich mit allem, was er hat und darstellt gegen eine derartige kultische Verehrung wehrt! Es ist der 100 Jahre alt gewordene Fünfliber, der uns an dieser Stelle sagt: „Stopp! Hört auf damit, mich wie ein Heilsmittel zu behandeln! Und ich will auch nicht zum Gegenstand spätkapitalistischer Glaubensbekenntnisse werden! Schaut mich stattdessen genauer an! Denn dann erfahrt Ihr, worauf Ihr im Leben und im Sterben wirklich vertrauen dürft!“
Na, das ist ein Wort! Deftig!
Geben wir unserem Jubilar also die Ehre! Schauen wir ihn uns genauer an! Und ich schlage vor, wir wenden uns dabei zunächst einmal dem Münzrand zu.
Da ist nämlich ein Schriftzug eingraviert. Kennen Sie den? Oder haben Sie ihn schon entdeckt? Ich gebe zu: Bei älteren und abgegriffeneren Exemplaren er nicht leicht zu entziffern. Darum helfe ich Ihnen.
Es finden sich dort die Worte: DOMINUS PROVIDEBIT!
Zu Deutsch: Der Herr wird Sorge tragen bzw. vorsorgen!
Das ist nun mal interessant. Dieselbe Münze, die für viele Menschen den Inbegriff ihrer Sicherheit darstellt, weist von sich selbst weg auf einen Anderen. Der Herr wird vorsorgen! Darum also: „Fürchte Dich nicht!“
Wir sind mit unserem Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit nicht auf irgendeine irdische Macht zurückgeworfen. Nein, wir dürfen unser Vertrauen auf eine Instanz setzen, die sich über alle Wechselfälle der Geschichte und über alle Umbrüche und Krisen dieser Welt hinweg als zuverlässig erweist. So lautet zumindest die Überzeugung unseres silbergrauen Jubilars.
Ich denke, es tut gut, wenn wir uns gerade in Zeiten wie diesen, in denen wir von einer Katastrophe in die nächste schlittern, genau daran erinnern lassen. Wir sind Kinder eines Schöpfers, der es gut mit uns meint und der einen Bund mit uns Menschen geschlossen hat. Einen Bund, der durch nichts ins Wanken gerät.
Der Satz „Dominus providebit!“ ist übrigens ein Zitat aus der lateinischen Übersetzung des Alten Testamentes. Er findet sich in der Geschichte 1. Mose 22, als Abraham sein eigenes Kind opfern will, und ihm dann ein Engel in die Arme fällt und sagt: „Komm, lass es sein! Dein Gott, will diese Art von Opfern nicht. Er wird für eine angemessene Alternative sorgen.“
Als Menschen des 21. Jahrhunderts scheinen wir wie Abraham bereit zu sein, unsere Kinder bzw. deren Zukunft zu opfern. Es ist nur ein anderer Altar geworden - der Altar des Wohlstands, der Angst oder auch schlicht der Gleichgültigkeit. Weil wir uns nicht mehr sicher fühlen, rüsten wir auf, investieren in Kampfjets oder erwägen den Beitritt in eine höchst problematische Verteidigungsallianz.
Und weil wir in unserem Erlebnishunger nicht genug bekommen von der ewigen Jagd nach Glücksmomenten, plündern wir auch noch die letzten Ressourcen dieser überforderten Welt. Einer Welt, die zunehmend mit Hitzeperioden, Dürren und anderen Naturkatastrophen reagiert. Und dies alles, liebe Gemeinde, ist erst der Anfang!
„Haltet ein!“ ruft uns der Fünfliber zu. „Dominus providebit! Opfert Eure Kinder nicht der Angst! Opfert sie nicht Eurer Unersättlichkeit! Opfert sie nicht der Wohlstandsverwahrlosung! Der Herr wird für Euch sorgen!“
Aber wer fragt schon im Alltag nach dem Herrn? Wer fragt schon an diesem Nationalfeiertag – ausser Euch, die Ihr heute gekommen seid, um Gott stellvertretend für die vielen Gleichgültigen die Ehre zu geben – nach dem Herrn?
Ich empfinde es zutiefst verstörend, wie sehr wir in der Schweiz und manchen anderen europäischen Staaten darauf aus sind, uns von Gott loszulösen und die Trennung von Kirche und Staat auf die Spitze zu treiben. Etwa, wenn christlich motivierte Lehrkräfte sich in einem Klassenraum zum Gebet für die Schule treffen möchten und Eltern dagegen auf die Barrikaden gehen. Gerade so als seien ihre Kinder durch das Gebet ihrer Lehrer von einer Art magischer Gehirnwäsche bedroht. Lächerlich!
Natürlich braucht es eine Beschränkung kirchlicher Einflussnahme auf Entscheidungen des Staates. Niemand sehnt sich nach der klerikalen Bevormundung der Vergangenheit zurück – auch wir in der Kirche nicht.
Aber ist es wirklich so erstrebenswert – gerade auch im öffentlichen Leben, in den Medien, in der Pädagogik – Gott vollständig los zu sein? Ist es wirklich so toll, unseren Kindern zu vermitteln: „Glaube an Dich selbst! Sei stark! Denn nur dann bringst Du es zu etwas! Ist es wirklich so grossartig auf sich selbst und nur auf sich selbst gestellt zu sein?
Ist das die postmoderne Alternative zum Vertrauen auf Gott? Die Gründungsväter und -mütter unserer Eidgenossenschaft würden sich im Grabe herumdrehen!
Liebe Gemeinde: Was hat Gott uns eigentlich getan, dass wir mit ihm als Einzelne wie als Gesellschaft möglichst nichts mehr zu tun haben wollen? Kann mir das bitte mal jemand erklären?
Meinen wir denn im Ernst, wir bekämen die globalen Probleme, vor denen wir gegenwärtig als Menschheit stehen, noch in den Griff ohne ihn? Meinen wir das wirklich im Ernst? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Vielleicht sagt nun jemand an dieser Stelle:
Ok, wenn ich wüsste, wer oder wie Gott ist. Dann wäre ich vielleicht bereit, mich auf den Glauben einzulassen. Dann könnte ich vielleicht etwas mit ihm anfangen.
Aber ich weiss nun einmal nicht, wer Gott ist.“
Sehen Sie, und auch an dieser Stelle meldet sich unser Föifliber wieder zu Wort und sagt: „Schau mich doch noch mal an. Was siehst Du denn da?“ Glücklicherweise gestaltet sich die Antwort auf diese Frage weitaus einfacher als mit der lateinischen Inschrift auf dem Seitenrand. Denn auf der Rückseite unseres Fünffranken ist ganz deutlich das Gesicht eines Alphirten im Profil zu erkennen. Und er ist bekleidet mit einem „Sennechutteli“. Aufgrund der Aufschrift „Confoederatio Helvetica“, wird dieses Gesicht oft als das von Wilhelm Tell gedeutet.
Paul Burkhard, der Gestalter unserer Münze, hatte allerdings wohl noch jemand anderes im Sinn. Ihm als Künstler ging es um eine eidgenössische Version des guten Hirten, wie er im Psalm 23 beschrieben wird. Er wollte, dass die Zusage „Dominus providebit“, nicht einfach nur als Randerscheinung im Raume steht, sondern ein konkretes Gesicht bekommt. Und zwar das Gesicht dessen, von dem wir in der Schriftlesung aus Johannes 10 gehört haben. Denn, wisst Ihr, wir können viel über Gott und sein Wesen diskutieren – aber wer Gott in Wahrheit ist, das erkennen wir wirklich nur in dieser einen Person, die von sich gesagt hat: „Ich bin der gute Hirte, und ich lasse mein Leben für die Schafe!“
Wie Gott sich tatsächlich um seine Geschöpfe kümmert, auch das können wir nur daran ablesen, wie Christus sich um Menschen gekümmert hat. Und das brauche ich Ihnen wahrscheinlich nicht in epischer Breite zu erzählen. Dazu sind solche Geschichten wie die vom blinden Bartimäus oder der Speisung der 5000 doch noch zu bekannt.
Und vielleicht haben Sie das Wirken des guten Hirten ja auch schon selbst in Ihrem Leben gespürt. Sofern Sie das, was sich als glückliche Fügung oder auch als Bewahrung erwiesen hat, nicht einfach dem Zufall zugeschrieben haben.
Wer also fragt: „Wer ist Gott?“ oder „Wie ist Gott?“, dem ruft die Rückseite des Fünfliber zu:
„Schau auf Christus, den guten Hirten, und Du kennst die Antwort!“
Und wem das noch nicht reicht, dem flüstert diese Münze ins Ohr:
„Bitte drehe mich noch einmal um. Denn, wenn Du das tust, entdeckst Du auf meiner Vorderseite das tiefste Geheimnis der Liebe Gottes: das Kreuz!“
Es ist das Kreuz, an das man den Heiland genagelt hat, um ihn loszuwerden. Aber wir werden die Liebe Gottes nicht los. Du wirst die Liebe Gottes nicht los. Von Alpenblumen umrankt, schaut sie Dich in Gestalt des Kreuzes von jeder Vorderseite eines 5 Franken Geldstücks an und fragt Dich: „Was bin ich Dir wert?“
Nun mögen Zyniker einwenden: Aber was ist, wenn eines nicht zu fernen Tages der Bargeldverkehr völlig eingestellt werden wird? Wir vielleicht nur noch mit Karten bezahlen oder twinten?
Hat sich dann die Frage des Föiflibers erledigt? Nein, liebe Gemeinde, sie hat sich allenfalls auf ein anderes Symbol verlagert. Denn dann bleibt noch unsere eidgenössische Fahne: Mit dem weissen Kreuz als Symbol der Makellosigkeit und Unschuld Christi auf dem roten Hintergrund als Zeichen der Liebe Gottes. Dann wird die Fahne am Nationalfeiertag die Mission des Fünflibers weitertragen.
Einstweilen aber gibt es unser Geburtstagskind noch. Seit 100 Jahren. Und wir wünschen ihm nach Möglichkeit weitere 100 Lebensjahre.
Denn die Zusage des Föifliber für unser Volk lautet:
Fürchte Dich nicht! – Dominus providebit!
Amen.
Michael Stollwerk, Pfr.
Unmittelbar vor der Predigt wurde jedem Gottesdienstteilnehmer in einem liturgischen Akt eine Fünffranken Münze mit den Worten «Fürchte Dich nicht!» feierlich überreicht.
Liebe Gemeinde,
ich wüsste ja gerne, was Sie eben gedacht haben, als Sie nach vorne gekommen sind und von Marian und mir so einen Föifliber bekommen haben. Noch dazu feierlich überreicht wie eine Hostie beim Abendmahl und mit den Worten versehen: „Fürchte Dich nicht!“
Vielleicht haben Sie gedacht: „Jetzt sind die Beiden wohl endgültig durchgeknallt. Von dem Stollwerk hat man solche Stories ja schon gehört – aber der Benkovic….? Der arme Pfarrer Benkovic!“
Vielleicht haben Sie aber auch gedacht: „Endlich! - Endlich ist die Kirche auch in der Realität angekommen. Endlich haben sie gemerkt, was vielen Menschen heutzutage wirklich wichtig ist! Guter Marketing-Gag – mit Speck fängt man bekanntlich Mäuse!“
Liebe Gemeinde, ich darf Ihnen verraten: So naheliegend solche Gedanken auch sein mögen, mit beiden Deutungen liegen sie gründlich daneben!
Der „Fünfliber“ selbst ist nämlich dafür verantwortlich, dass wir Ihnen den heute am Nationalfeiertag in die Hand gedrückt haben. Und das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist schlicht: Diese Münze hat Geburtstag. Denn genau hundert Jahre ist es her, dass der Liber in seiner heutigen Form nach einem Entwurf des in Richterswil geborenen Bildhauers Paul Burkhard geprägt wurde. Seit 1922 also begleitet der Föifer unsere Eidgenossenschaft über alle Höhen und Krisen der Geschichte hinweg bis zum heutigen Tag. Und dabei ist er nicht nur stabil geblieben, sondern hat im Vergleich zu seinen Pendants, dem Dollar, dem Euro, Rubel oder Yen überall in der Welt sogar enorm an Wert zugelegt. Durchaus ein Grund zum Feiern an einem Tag wie heute.
Der Franken also als Garant für Sicherheit und Wohlstand? Wenn nicht sogar für mehr? Wie etwa für Unabhängigkeit, Glück und Freiheit?
Nicht wenige unserer Mitbürger und politisch Verantwortlichen scheinen ja dieser Meinung zu sein. Weshalb z.B. das Schweizer Bankgeheimnis über Jahrzehnte fast besser gehütet worden ist als die Kronjuwelen der Queen im Tower of London. Und auch so mancher Hochbetagte in unserem Land beschäftigt sich mehr mit seinen Vermögenswerten als mit der Frage, wo er denn demnächst die Ewigkeit verbringen möchte.
Aber, liebe Gemeinde, es ist der Franken selbst, der sich mit allem, was er hat und darstellt gegen eine derartige kultische Verehrung wehrt! Es ist der 100 Jahre alt gewordene Fünfliber, der uns an dieser Stelle sagt: „Stopp! Hört auf damit, mich wie ein Heilsmittel zu behandeln! Und ich will auch nicht zum Gegenstand spätkapitalistischer Glaubensbekenntnisse werden! Schaut mich stattdessen genauer an! Denn dann erfahrt Ihr, worauf Ihr im Leben und im Sterben wirklich vertrauen dürft!“
Na, das ist ein Wort! Deftig!
Geben wir unserem Jubilar also die Ehre! Schauen wir ihn uns genauer an! Und ich schlage vor, wir wenden uns dabei zunächst einmal dem Münzrand zu.
Da ist nämlich ein Schriftzug eingraviert. Kennen Sie den? Oder haben Sie ihn schon entdeckt? Ich gebe zu: Bei älteren und abgegriffeneren Exemplaren er nicht leicht zu entziffern. Darum helfe ich Ihnen.
Es finden sich dort die Worte: DOMINUS PROVIDEBIT!
Zu Deutsch: Der Herr wird Sorge tragen bzw. vorsorgen!
Das ist nun mal interessant. Dieselbe Münze, die für viele Menschen den Inbegriff ihrer Sicherheit darstellt, weist von sich selbst weg auf einen Anderen. Der Herr wird vorsorgen! Darum also: „Fürchte Dich nicht!“
Wir sind mit unserem Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit nicht auf irgendeine irdische Macht zurückgeworfen. Nein, wir dürfen unser Vertrauen auf eine Instanz setzen, die sich über alle Wechselfälle der Geschichte und über alle Umbrüche und Krisen dieser Welt hinweg als zuverlässig erweist. So lautet zumindest die Überzeugung unseres silbergrauen Jubilars.
Ich denke, es tut gut, wenn wir uns gerade in Zeiten wie diesen, in denen wir von einer Katastrophe in die nächste schlittern, genau daran erinnern lassen. Wir sind Kinder eines Schöpfers, der es gut mit uns meint und der einen Bund mit uns Menschen geschlossen hat. Einen Bund, der durch nichts ins Wanken gerät.
Der Satz „Dominus providebit!“ ist übrigens ein Zitat aus der lateinischen Übersetzung des Alten Testamentes. Er findet sich in der Geschichte 1. Mose 22, als Abraham sein eigenes Kind opfern will, und ihm dann ein Engel in die Arme fällt und sagt: „Komm, lass es sein! Dein Gott, will diese Art von Opfern nicht. Er wird für eine angemessene Alternative sorgen.“
Als Menschen des 21. Jahrhunderts scheinen wir wie Abraham bereit zu sein, unsere Kinder bzw. deren Zukunft zu opfern. Es ist nur ein anderer Altar geworden - der Altar des Wohlstands, der Angst oder auch schlicht der Gleichgültigkeit. Weil wir uns nicht mehr sicher fühlen, rüsten wir auf, investieren in Kampfjets oder erwägen den Beitritt in eine höchst problematische Verteidigungsallianz.
Und weil wir in unserem Erlebnishunger nicht genug bekommen von der ewigen Jagd nach Glücksmomenten, plündern wir auch noch die letzten Ressourcen dieser überforderten Welt. Einer Welt, die zunehmend mit Hitzeperioden, Dürren und anderen Naturkatastrophen reagiert. Und dies alles, liebe Gemeinde, ist erst der Anfang!
„Haltet ein!“ ruft uns der Fünfliber zu. „Dominus providebit! Opfert Eure Kinder nicht der Angst! Opfert sie nicht Eurer Unersättlichkeit! Opfert sie nicht der Wohlstandsverwahrlosung! Der Herr wird für Euch sorgen!“
Aber wer fragt schon im Alltag nach dem Herrn? Wer fragt schon an diesem Nationalfeiertag – ausser Euch, die Ihr heute gekommen seid, um Gott stellvertretend für die vielen Gleichgültigen die Ehre zu geben – nach dem Herrn?
Ich empfinde es zutiefst verstörend, wie sehr wir in der Schweiz und manchen anderen europäischen Staaten darauf aus sind, uns von Gott loszulösen und die Trennung von Kirche und Staat auf die Spitze zu treiben. Etwa, wenn christlich motivierte Lehrkräfte sich in einem Klassenraum zum Gebet für die Schule treffen möchten und Eltern dagegen auf die Barrikaden gehen. Gerade so als seien ihre Kinder durch das Gebet ihrer Lehrer von einer Art magischer Gehirnwäsche bedroht. Lächerlich!
Natürlich braucht es eine Beschränkung kirchlicher Einflussnahme auf Entscheidungen des Staates. Niemand sehnt sich nach der klerikalen Bevormundung der Vergangenheit zurück – auch wir in der Kirche nicht.
Aber ist es wirklich so erstrebenswert – gerade auch im öffentlichen Leben, in den Medien, in der Pädagogik – Gott vollständig los zu sein? Ist es wirklich so toll, unseren Kindern zu vermitteln: „Glaube an Dich selbst! Sei stark! Denn nur dann bringst Du es zu etwas! Ist es wirklich so grossartig auf sich selbst und nur auf sich selbst gestellt zu sein?
Ist das die postmoderne Alternative zum Vertrauen auf Gott? Die Gründungsväter und -mütter unserer Eidgenossenschaft würden sich im Grabe herumdrehen!
Liebe Gemeinde: Was hat Gott uns eigentlich getan, dass wir mit ihm als Einzelne wie als Gesellschaft möglichst nichts mehr zu tun haben wollen? Kann mir das bitte mal jemand erklären?
Meinen wir denn im Ernst, wir bekämen die globalen Probleme, vor denen wir gegenwärtig als Menschheit stehen, noch in den Griff ohne ihn? Meinen wir das wirklich im Ernst? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Vielleicht sagt nun jemand an dieser Stelle:
Ok, wenn ich wüsste, wer oder wie Gott ist. Dann wäre ich vielleicht bereit, mich auf den Glauben einzulassen. Dann könnte ich vielleicht etwas mit ihm anfangen.
Aber ich weiss nun einmal nicht, wer Gott ist.“
Sehen Sie, und auch an dieser Stelle meldet sich unser Föifliber wieder zu Wort und sagt: „Schau mich doch noch mal an. Was siehst Du denn da?“ Glücklicherweise gestaltet sich die Antwort auf diese Frage weitaus einfacher als mit der lateinischen Inschrift auf dem Seitenrand. Denn auf der Rückseite unseres Fünffranken ist ganz deutlich das Gesicht eines Alphirten im Profil zu erkennen. Und er ist bekleidet mit einem „Sennechutteli“. Aufgrund der Aufschrift „Confoederatio Helvetica“, wird dieses Gesicht oft als das von Wilhelm Tell gedeutet.
Paul Burkhard, der Gestalter unserer Münze, hatte allerdings wohl noch jemand anderes im Sinn. Ihm als Künstler ging es um eine eidgenössische Version des guten Hirten, wie er im Psalm 23 beschrieben wird. Er wollte, dass die Zusage „Dominus providebit“, nicht einfach nur als Randerscheinung im Raume steht, sondern ein konkretes Gesicht bekommt. Und zwar das Gesicht dessen, von dem wir in der Schriftlesung aus Johannes 10 gehört haben. Denn, wisst Ihr, wir können viel über Gott und sein Wesen diskutieren – aber wer Gott in Wahrheit ist, das erkennen wir wirklich nur in dieser einen Person, die von sich gesagt hat: „Ich bin der gute Hirte, und ich lasse mein Leben für die Schafe!“
Wie Gott sich tatsächlich um seine Geschöpfe kümmert, auch das können wir nur daran ablesen, wie Christus sich um Menschen gekümmert hat. Und das brauche ich Ihnen wahrscheinlich nicht in epischer Breite zu erzählen. Dazu sind solche Geschichten wie die vom blinden Bartimäus oder der Speisung der 5000 doch noch zu bekannt.
Und vielleicht haben Sie das Wirken des guten Hirten ja auch schon selbst in Ihrem Leben gespürt. Sofern Sie das, was sich als glückliche Fügung oder auch als Bewahrung erwiesen hat, nicht einfach dem Zufall zugeschrieben haben.
Wer also fragt: „Wer ist Gott?“ oder „Wie ist Gott?“, dem ruft die Rückseite des Fünfliber zu:
„Schau auf Christus, den guten Hirten, und Du kennst die Antwort!“
Und wem das noch nicht reicht, dem flüstert diese Münze ins Ohr:
„Bitte drehe mich noch einmal um. Denn, wenn Du das tust, entdeckst Du auf meiner Vorderseite das tiefste Geheimnis der Liebe Gottes: das Kreuz!“
Es ist das Kreuz, an das man den Heiland genagelt hat, um ihn loszuwerden. Aber wir werden die Liebe Gottes nicht los. Du wirst die Liebe Gottes nicht los. Von Alpenblumen umrankt, schaut sie Dich in Gestalt des Kreuzes von jeder Vorderseite eines 5 Franken Geldstücks an und fragt Dich: „Was bin ich Dir wert?“
Nun mögen Zyniker einwenden: Aber was ist, wenn eines nicht zu fernen Tages der Bargeldverkehr völlig eingestellt werden wird? Wir vielleicht nur noch mit Karten bezahlen oder twinten?
Hat sich dann die Frage des Föiflibers erledigt? Nein, liebe Gemeinde, sie hat sich allenfalls auf ein anderes Symbol verlagert. Denn dann bleibt noch unsere eidgenössische Fahne: Mit dem weissen Kreuz als Symbol der Makellosigkeit und Unschuld Christi auf dem roten Hintergrund als Zeichen der Liebe Gottes. Dann wird die Fahne am Nationalfeiertag die Mission des Fünflibers weitertragen.
Einstweilen aber gibt es unser Geburtstagskind noch. Seit 100 Jahren. Und wir wünschen ihm nach Möglichkeit weitere 100 Lebensjahre.
Denn die Zusage des Föifliber für unser Volk lautet:
Fürchte Dich nicht! – Dominus providebit!
Amen.
Michael Stollwerk, Pfr.