Verantwortlich: Michael Stollwerk
Bereitgestellt: 01.08.2022
Es gab eine Zeit, da haben die Philosophen und Theologen den Menschen die Welt erklärt. Die ist lange vorbei.
„Gott sei Dank!“ – möchte man fast sagen.
Denn nicht alles, was Philosophen sagen, ist weise.
Und nicht alles, was Theologen von sich geben, entspricht Gottes Wort.
Allerdings ist dadurch ein weltanschauliches Vakuum entstanden.
Und dieses Vakuum wird spätestens seit der Etablierung der so genannten „sozialen Medien“ von einem Heer von Meinungsmachern und Influencern nicht nur gefüllt, sondern geradezu überkompensiert. Sie habe inzwischen längst die angestammte Rolle der Priester und Propheten übernommen. – Und immer häufiger auch die der Inquisition!
Allerdings ist man sich in fast allen Fragen uneinig. Egal, ob es nun um religiöse, ethische, politische oder tagesaktuelle Fragen geht. Und so entstehen täglich neue Deutungsmuster von Wirklichkeit, die um unsere Zustimmung bzw. Unterstützung buhlen. Gerade in den letzten Jahren: angesichts der Klimakatastrophe, in der Impfdebatte, oder jetzt im Ukraine-Russland Konflikt.
Wer soll sich da noch zu Recht finden?
Ich möchte Ihnen im Folgenden 7 Strategien vorstellen, die mir dabei helfen, auch im Wirrwarr widerstreitender Meinungen einen klaren Kopf zu behalten. (Lesezeit ca. 20 Min.)
Dabei erhebe ich gerade in den Konkretionen keinerlei Anspruch auf Deutungshoheit. Mir geht es eher um eine Ermutigung zum konsequenten Nach-Denken und somit um eine Art Orientierungshilfe im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe.
Eine erste Strategie lautet:
„Gott sei Dank!“ – möchte man fast sagen.
Denn nicht alles, was Philosophen sagen, ist weise.
Und nicht alles, was Theologen von sich geben, entspricht Gottes Wort.
Allerdings ist dadurch ein weltanschauliches Vakuum entstanden.
Und dieses Vakuum wird spätestens seit der Etablierung der so genannten „sozialen Medien“ von einem Heer von Meinungsmachern und Influencern nicht nur gefüllt, sondern geradezu überkompensiert. Sie habe inzwischen längst die angestammte Rolle der Priester und Propheten übernommen. – Und immer häufiger auch die der Inquisition!
Allerdings ist man sich in fast allen Fragen uneinig. Egal, ob es nun um religiöse, ethische, politische oder tagesaktuelle Fragen geht. Und so entstehen täglich neue Deutungsmuster von Wirklichkeit, die um unsere Zustimmung bzw. Unterstützung buhlen. Gerade in den letzten Jahren: angesichts der Klimakatastrophe, in der Impfdebatte, oder jetzt im Ukraine-Russland Konflikt.
Wer soll sich da noch zu Recht finden?
Ich möchte Ihnen im Folgenden 7 Strategien vorstellen, die mir dabei helfen, auch im Wirrwarr widerstreitender Meinungen einen klaren Kopf zu behalten. (Lesezeit ca. 20 Min.)
Dabei erhebe ich gerade in den Konkretionen keinerlei Anspruch auf Deutungshoheit. Mir geht es eher um eine Ermutigung zum konsequenten Nach-Denken und somit um eine Art Orientierungshilfe im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe.
Eine erste Strategie lautet:
Michael Stollwerk,
1. Ich achte bei Publikationen und in den Medien auf ausgesprochene und unausgesprochene Voraussetzungen
Zu jedem zugelassenen Medikament gehört notwendigerweise ein ausführlicher Beipackzettel. Solche Beipackzettel sind von enormer Bedeutung, denn sie verraten neben den Informationen über Wirkstoffe und Anwendungsgebiete eines pharmazeutischen Produktes auch etwas über dessen Risiken und Nebenwirkungen. Eine ähnliche Funktion haben im Bereich des klassischen wissenschaftlichen Arbeitens die so genannten hermeneutischen Überlegungen.
Sie geben eine präzise Auskunft darüber, warum jemand wie zu seinen Arbeitsergebnissen gekommen ist und vor allem auch, welches leitende Interesse im Hintergrund stand.
Eine solche Offenlegung der eigenen Denkvoraussetzungen und Intentionen tritt im modernen Journalismus – von den sozialen Medien ganz zu schweigen – immer mehr in den Hintergrund.
Und das hat fatale Folgen: denn dadurch wird es für uns den Normalbürger weitaus schwieriger, einen Sachverhalt zu beurteilen oder die Argumentation zu durchschauen. Er soll die Botschaft vor allem „schlucken“. Ob er sie wirklich versteht, ist demgegenüber sekundär.
Aber es gibt eine gute Nachricht: und das sind die Hinweise, die sich oft schon im Titel einer Publikation oder im Setting einer Talkrunde verbergen.
Ein Beispiel dazu:
Als die katholische Theologin Ute Ranke-Heinemann 1988 ein Buch mit dem Titel „Eunuchen für das Himmelreich“ veröffentlichte, war mit dieser programmatischen Überschrift schon klar:
Hier handelt es sich nicht um eine ausgewogene Auseinandersetzung mit dem Pflichtzölibat für Priester und seine geistliche Begründung, sondern um eine engagierte Kampfschrift.
Dies entwertet eine solche Publikation natürlich in keiner Weise. Aber als Leser sollte ich mich darauf einstellen, dass in einer „Kampfschrift“ mit Verkürzungen, Verzerrungen und Polemik zu rechnen ist.
Ein anderes Beispiel.
Stellen Sie sich eine Talk Runde im Schweizer Fernsehen vor. Das Thema lautet: „Ist die Kirche noch zeitgemäss?“
Als Gesprächspartner wurden eingeladen:
- eine aus der reformierten Kirche ausgetretene Ex-Kirchenpflegerin
- eine Dragqueen aus der LGBTQ Community
- der Präsident der Jungfreisinnigen in der Schweiz
- ein stark übergewichtiger bärtiger Offizier der Heilsarmee in Uniform und mit Hornbrille
Hier lässt schon das Setting der Teilnehmenden vermuten, dass es so etwas wie eine „hidden agenda“ (verstecktes Ziel) im Hintergrund gibt. Und die dürfte in diesem Fall darin bestehen, die Kirche „zum Abschuss freizugeben“ und den christlichen Glauben als überholt und hinterwäldlerisch zu entlarven.
Ich habe mir daher angewöhnt, genau hinzuschauen, welche Signale der Titel oder das Ambiente eines Fernsehbeitrages sendet. Sind es Signale der Pauschalisierung und der Überzeichnung oder sind es Hinweise, die auf eine differenzierte Herangehensweise hoffen lassen.
Ist ersteres der Fall, erspare ich mir meist den Medienkonsum, denn die Realität dieser Welt ist nun einmal in den seltensten Fällen schwarz oder weiss, sondern findet in den Grautönen statt.
Und das möchte ich gewürdigt wissen.
2. Ich überprüfe die innere Logik und Plausibilität eines Sachverhalts
Ich weiss nicht wie es Ihnen geht: Lange Zeit war für mich die Wissenschaft so etwas wie ein Hort der Sicherheit. Gerade in der Medizin. Wenn es da so etwas wie Untersuchungen eines renommierten Instituts gab, fühlte ich mich einigermassen geborgen.
Was mich an dieser Stelle in gewisser Weise erschüttert hat, war jedoch Einsicht, wie leicht sich mit „Forschungsergebnissen“ Schindluder treiben lässt. Und zwar gerade dann, wenn sie Interessen geleitet sind. Denn dann tritt an die Stelle analytischer Wahrnehmung häufig eine eklektizistisch willkürliche Deutung des vermeintlichen Befundes.
Wen diese Zusammenhänge etwas näher interessieren, dem empfehle ich die Homepage des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in (RWI):
www.rwi-essen.de/unstatistik/.
Denn dieses Institut gibt seit 2012 eine so genannte „Unstatistik des Monats“ heraus, die besonders frappierende Fehldeutungen wissenschaftlicher Ergebnisse als solche entlarvt. Ziel dieses Unternehmens ist es, zur Versachlichung im Umgang mit Forschungsergebnissen und Daten beizutragen.
Eine Tugend, die z.B. im Bereich der Ernährungswissenschaften völlig verloren gegangen ist. Denn dort steht hinter vielen Ergebnissen eine milliardenschwere Pharma- und Nahrungsergänzungsmittelindustrie, der es vor allen Dingen um eins geht: dem Konsumenten eine Mangel- und Fehlernährung einzusuggerieren, um dann in einem zweiten Schritt ihre Produkte optimiert vermarkten zu können.
Die Lebensmittelexpertin und Journalistin Katarina Schickling beschreibt das in diesem Zusammenhang typische Auseinanderreissen von Kausalitäts- und Kor-relationsprinzip so:
„Ein wichtiger Punkt bei der Einordnung von Studienergebnissen ist die Frage, ob es bei den untersuchten Phänomenen tatsächlich ursächliche Zusammen-hänge gibt… oder ob zwei Dinge vielleicht nur zufällig gleichzeitig auftreten… Ein einfaches Beispiel dafür macht deutlich, wie wichtig diese Unterscheidung ist:
Jungpioniere in der DDR trugen als Teil ihrer Uniform ein blaues Halstuch. Nun war die Zahl der Kinder in der DDR, die an Allergien litten, nur etwa halb so hoch wie die von westdeutschen Kindern, die keine blauen Halstücher trugen. Niemand würde nun ernsthaft auf die Idee kommen, blaue Halstücher für eine geeignete Allergieprävention zu halten. Die beiden Umstände treffen zwar zu-fällig zusammen, das eine ist aber nicht ursächlich für das andere.
Doch auf genau diesem Niveau bewegen sich unzählige Studien, die behaupten, dass Kaffeetrinker, Vegetarier oder Olivenölbenutzer länger leben.“ (Katarina Schickling, Aber bitte mit Butter, Herder Verlag, Freiburg 2018, S.50ff
Mit diesem kurzen Ausflug in die Pseudowissenschaften möchte ich Sie und mich dazu ermutigen, im Zweifelsfalle Ihrem gesunden Menschenverstand zu vertrauen und auch selbstbewusst formulierte Forschungsergebnisse auf ihre Plausibilität hin zu hinterfragen.
3. Ich pflege mein geschichtliches Langzeitgedächtnis
Viele Menschen empfinden die sozialen Medien ja als Fluch. Und ehrlich gesagt, ich kann dies teilweise verstehen. Denn es gibt ja nichts, was es im Internet nicht gibt und mit teilweise haar-sträubenden Begründungen weiterverbreitet wird.
Stichwort: Verschwörungstheorien. Allerdings hat das Internet auch grosse Stärken. Es besitzt ein ausgezeichnetes Gedächtnis und vergisst praktisch nichts.
Und darum lassen sich Legendenbildungen, einseitige Geschichtsdeutungen oder Fake News anhand hinterlegter Originaldokumente beispielsweise mittels You tube leicht verifizieren oder falsifizieren.
Gerade in der Bewertung der momentanen politischen Situation erscheint mir dies wichtig. Denn die empfinde ich je länger desto mehr dann doch als etwas irritierend, gerade weil so getan wird, als sei dieser Konflikt völlig überraschend vom Himmel gefallen.
Aber das ist er eben nicht, genauso wenig, wie die gegenwär-tige Klimakatastrophe etwas Überraschendes ist.
Wenn ich es richtig sehe, hat das Ganze hat eine Vorgeschichte von mindestens 30 Jahren. Eine Geschichte der Missverständnisse zwischen Ost und West, nachdem der „Wind of Change“, von dem die Scorpions sangen, zwar einen Teil der Welt erfasste, die Vereinigten Staaten aber beispielsweise eher nicht. In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf You tube durchaus hilfreich.
Denn dort finden sich eine Fülle von historischen Filmdokumenten, die aufschlussreich sind.
Unter anderem:
- ein Interviewausschnitt mit Hans Dietrich Genscher und dem amerikanischen Aussenminister James Baker vom Februar 1990
- Ein Interview mit dem menschlich enttäuschten und frustrierten Michail Gorbatschow aus dem Jahre 2015:
- Und auch die Rede Vladimir Putins auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, die man nur als eine ebenso klare wie unmissverständliche Ansage eines „bis hierhin und nicht weiter“ bewerten kann.
Das Anschauen solcher Originaldokumente macht zumindest mich durchaus nachdenklich.
Weil ich mich beispielsweise frage, wie zwei so grundverschiedene Charaktere wie Vladimir Putin und Michail Gorbatschow, sich so einig sein können in einem sehr verletzenden Gefühl:
dem Gefühl von Menschen und Mächten, denen sie einmal vertraut und die Hand gereicht haben, belogen und betrogen worden zu sein.
Und es ist bekanntlich gefährlich, sehr gefährlich, Menschen in Machtpositionen zu verletzen und zu demütigen. - Man weiss nie, wie sie reagieren.
Der Eine, wie Michail Gorbatschow, geht in die innere Emigration, zieht sich zurück auf seine Datscha. Der andere sinnt auf Rache und wartet auf einen geeigneten Zeitpunkt zurückzuschlagen.
Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht sagen – um nicht am Ende noch als „Putinversteher“ missverstanden zu werden. Denn als Christ liegt mir jedes Verständnis für einen Angriffskrieg fern. Für den in der Ukraine ebenso wie für den seinerzeit im Irak.
Allerdings weiss ich als Seelsorger aus Erfahrung um die verheerenden Abgründe, die sich in einer gedemütigten Seele abspielen. Und welche zerstörerische Eigendynamik aus ihnen erwachsen kann.
Ein geschichtliches Langzeitgedächtnis ist also gefragt. Und ein Blick in die Vergangenheit ist hilfreich. Nicht nur bei der Bewertung dessen, was sich derzeit in Europa abspielt, sondern weltweit.
4. Ich versuche kulturübergreifend zu denken
Manchmal können Menschen von dem Gleichen sprechen und doch nicht dasselbe meinen. Wir kennen dieses Phänomen vermutlich alle aus dem Alltag, vielleicht sogar aus dem Beziehungsalltag. Da sagt eine Frau zu ihrem Gatten: „Du Urs, ich habe den Eindruck, Du liebst mich nicht mehr!“ – Worauf Er ganz entgeistert zurückgibt:„Wie kommst Du denn darauf? Wir haben wir in diesem Jahr doch schon 3x miteinander geschlafen!“
Ein klassisches Missverständnis. Beide sprechen von Liebe, aber denken da of-fensichtlich an sehr unterschiedliche Ausdrucksformen.
Ich habe den Eindruck: In vielen Debatten über Gott und die Welt, vor allem im diplomatischen Bereich verhält es sich ähnlich. Etwa, wenn Europäer und Asiaten über das Thema Menschenrechte debattieren. Mir ist das spätestens im vergangenen Herbst bei der Lektüre der Reden des Konfuzius deutlich geworden. - Nebenbei gesagt, eine eher langweilige und ermüdende Lektüre.
Aber eben wichtig, weil die Philosophie des Konfuzius für Milliarden von Asiaten bis zum heutigen Tag ähnlich prägend ist, wie das Christentum für den Westen. Und wer sich mit dem Konfuzianismus beschäftigt stellt fest: dort ist der Begriff der Menschenrechte völlig anders gefüllt als bei uns.
Die entscheidende Bezugsgrösse für einen Asiaten auch in Fragen der Menschenrechte ist das Gemeinwohl, das Kollektiv. Und von zentraler Bedeutung ist daher nicht die individuelle Freiheit, sondern die Sicherheit. Menschenrecht ist es vor allem, ein geachtetes Teil des Ganzen zu sein und versorgt zu sein mit Wohnraum, Arbeit und dem täglich Brot. Ob ich dagegen tun und lassen kann, was ich will, ist von völlig untergeordneter Bedeutung.
Ganz anders ist es dagegen bei uns! Denn wir sind vom christlichen Abendland geprägt. Und von daher stehen bei uns die individuellen Rechte und die Freiheit des Einzelnen im Zentrum.
Provokativ formuliert: Wir Europäer sehen die Menschenrechte auch dann gewahrt, wenn jemand verhungert. – Solange er sich frei äussern und dagegen beschweren kann. Dass sieht ein Asiate völlig anders!
Warum belästige ich Sie mit diesem Ausflug in den Konfuzianismus? Weil mir eben wichtig geworden ist, dass wir viele Dinge erst dann richtig einschätzen und beurteilen können, wenn es uns gelingt, uns quasi von uns selbst zu distanzieren und uns auf die Welt des Anderen einzulassen.
Denn nur die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung, ermöglicht ein echtes Verständnis des Anderen. Entwickelt jemand diese Fähigkeit dagegen nicht, bleibt er/sie fast zwangsläufig in der eigenen „Bubble“, in der eigenen wie auch immer geprägten Herkunftskultur gefangen.
Auch für die erfolgreiche Integration von Ausländern ist ein interkulturelles Verständnis übrigens eine ständige Herausforderung.
Um es ganz persönlich zu sagen:
Viele Mitglieder der reformierten Kirche Stäfa, könnten mich nicht seit jetzt schon fast 6 Jahren als Pfarrer ertragen, wenn sie nicht die Fähigkeit hätten, zu sagen:„Ja, der Stolli ist manchmal schon ein wenig schräg in seiner Art und sehr direkt in seinen Predigten – aber er ist halt ein Dütscher!“
Und ich selbst versuche natürlich umgekehrt auch, mich von meiner soialen und kulturellen Herkunft zu lösen und Verständnis für manche eidgenössischen Eigenheiten aufzubringen. Wobei mir offen und in teutonischer Direktheit gesagt, beim Schweizer Bankgeheimnis nach wie vor die Haare zu Berge stehen. Aber auch die Grenzen des eigenen Verständnisses zu entdecken, ist bekanntlich wichtig.
5. Ich analysiere die Verwendung sprachlicher und rhetorischer Mittel
Sprache ist verräterisch. Das macht vieles leichter. Denn so ist es möglich, bereits durch aufmerksames Hinhören herauszufinden, ob jemand ein Interesse daran hat, ausgewogen zu informieren, oder ob es darum geht, jemand in eine ganz bestimmte Richtung zu drängen.
Darauf achte ich z.B. gerne bei Talk-Shows.
Stellt der Moderator offene oder geschlossene Fragen? Versucht jemand, Widerspruch im Keim zu ersticken? Indem er z.B. auf Floskeln zurückgreift wie: „Es kann ja wohl kein Zweifel darüber bestehen, dass…“oder: „Wir sind uns doch wohl einig darüber…usw.
Beliebt ist auch, gerade im Bereich des so genannten „investigativen Journalismus“, der Rückgriff auf die Stilmittel von Ironie und Sarkasmus. Beide möchte ich einmal als die „dunkle Seite“ des Humors bezeichnen. Gerade die Ironie kommt elegant daher, verrät aber häufig eine Schwäche in der Argumentation, insofern es der rhetorische Versuch ist, etwas ins Lächerliche zu ziehen, was eigentlich ernst genommen werden sollte.
Allerdings sollte man hier unterscheiden: In der Situation der Machtlosigkeit kann Ironie manchmal das einzige Mittel sein, eine Wahrheit gefahrlos auszu-sprechen. Ich denke da z.B. an die Situation der Pfarrer in der früheren DDR wie etwa an den bekannten Chemnitzer Jugendevangelisten Theo Lehmann. Er bediente sich gerne des Stilmittels der Ironie und der uneigentlichen Rede, wenn er wusste: „die Stasi hört mit!“
So provozierte er die Machthaber seines Staates Anfang der 80ziger Jahre in einer Predigt über die Eroberung Jerichos (Josua 6) durch die lapidare Bemerkung:
„Und es ging ein Gerücht im Volke Israel um: An der Mauer wird geschossen!“ – Angesichts der Ereignisse an der deutsch-deutschen Grenze damals eine direkte Anspielung und Affront. Und natürlich wurde Lehmann wegen sarkastischen Bemerkungen sowohl von der Stasi als auch von der Kirchenleitung immer wieder vorgeladen. Aber letztlich war ihm nichts nachzuweisen.
Ironie bzw. uneigentliche Rede als Sprache der Machtlosen. Das ist legitim!
Etwas völlig anderes ist es dagegen, wenn das Stilmittel der Ironie oder des Sarkasmus als Machtmittel eingesetzt wird. Denn dann dient diese dunkle Seite der Rhetorik dazu, eine Minderheit zu stigmatisieren oder sie moralisch an die Wand zu stellen.
Auch das kennen wir.: Etwa wenn da Menschen in jüngster Vergangenheit immer häufiger, aufgrund ihrer Haltung zu bestimmten Fragen pauschal als „Querdenker“, „homophob“ oder „Putinversteher“ bezeichnet werden.
Etikettierung als probates Mittel der Verunglimpfung. Ein unscheinbar elegantes Propagandatool gerade in unseren westlichen Medien. Achten Sie einmal darauf und bewerten Sie es für sich selbst kritisch.
6. Ich informiere mich über die Herkunft und Integrität der verwendeten Quellen
Ich denke, an dieser Stelle brauche ich nicht allzu viele Worte zu verlieren, weil Ihnen vermutlich klar ist, was gemeint ist.
Der Satz: „Ich weiss, dass ich nichts weiss!“ gilt im Munde eines Sokrates als Inbegriff philosophischer Weisheit. Spricht ihn dagegen ein neunjähriger Primarschüler aus, regt dies eher zum Schmunzeln an. Vor allem, wenn er damit vielleicht begründen will, warum es eigentlich sinnlos ist, in die Schule zu gehen. Es lohnt sich genau hinzuschauen, wer da irgendwelche Weisheiten und neuesten Erkenntnisse in die Welt setzt.
Und an dieser Stelle wundere ich mich dann schon, mit welcher Naivität, manche Zeitgenossen bereit sind, irgendwelchen Verschwörungstheorien zu folgen, die sich auf höchst dubiose Quellen stützen.
Auf ein anderes Kriterium zur Beurteilung von Quellen und Aussagen weist der syrische Risikoforscher Nassim Nichholas Taleb in seinem Buch „Skin in the game“ hin . Er ermutigt uns nämlich darauf zu achten, inwieweit ein Mensch mit dem, wofür er eintritt, selbst verhaftet ist oder nicht.
Vereinfachend gesagt, geht es dabei um Folgendes: Wenn ein Vermögensberater Ihnen eine Kapitalanlage ans Herz legt, in die er selbst einen Teil seiner Altersversorgung gesteckt hat, dann ist dies tendenziell vertrauenswürdiger, als wenn jemand Ihnen ein Aktienpaket empfiehlt, dass die Bank zufällig in Ihrem Portfolio hat und daher verkaufen möchte. Es ist klar warum.
Denn natürlich kann sich auch der erste Vermögensberater irren. Aber er wird tendenziell vorsichtiger sein, weil er im Falle einer Fehleinschätzung die Folgen seines Irrtums selbst zu spüren bekommt.
Es lohnt sich also, über das Verhältnis des Urhebers einer Theorie zu seinen Überzeugungen nachzudenken. Um es einmal religiös zu formulieren: Jesus Christus hat sich auf das, was er sagte und wofür er eintrat, im wahrsten Sinne des Wortes festnageln lassen. Andere dagegen ergreifen die Flucht, wenn es für sie eng wird. Darin besteht eben ein wesentlicher Unterschied.
7. Ich verwurzele mich in einer überzeugenden Glaubenstradition
Wer sich in dieser verwirrenden Welt zurecht finden will, der braucht einen klaren Kompass. Und auch wenn uns Christus nicht zu allen gesellschaftlichen und politischen Fragen eine konkrete Weisung mit auf den Weg gegeben hat, so können wir doch eins festhalten:
Gott ist nach dem Zeugnis der Bibel ein Gott, der Wahrheit und der Klarheit und ein Gott der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens.
Und mit diesen Kriterien ausgestattet ist es durchaus möglich, sich mit Herz und Verstand einen Weg durch das Dickicht der Meinungen zu suchen. Darum bin ich glücklich Christ zu sein und vor allem auch glücklich darüber, ein eifriger Bibelleser zu sein.
Denn die Bibel schenkt mir eine gesunde kritische Distanz gegenüber allem, was sich als Zeitgeist ideologisch selbst überhöht oder von sich behauptet, unhinterfragbar richtig und wichtig zu sein.
Natürlich kann ich mich auch mit der Bibel in der Hand in der einen oder anderen Streitfrage irren. Das ist auch der Grund, warum sich auch Christen durchaus nicht immer in allen ethischen Konflikten einig sind.
Aber das ist auch nicht nötig, solange jeder einzelne von uns bereit bleibt, sich selbst in Frage stellen zu lassen und dem Heilandsruf Jesu Folge zu leisten:
„Metanoiete! Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Mk, 1,14
Kurzzusammenfassung und Literaturhinweise:
Themengottesdienst 17.7.22
Stäfa, im Juli 2022
Zu jedem zugelassenen Medikament gehört notwendigerweise ein ausführlicher Beipackzettel. Solche Beipackzettel sind von enormer Bedeutung, denn sie verraten neben den Informationen über Wirkstoffe und Anwendungsgebiete eines pharmazeutischen Produktes auch etwas über dessen Risiken und Nebenwirkungen. Eine ähnliche Funktion haben im Bereich des klassischen wissenschaftlichen Arbeitens die so genannten hermeneutischen Überlegungen.
Sie geben eine präzise Auskunft darüber, warum jemand wie zu seinen Arbeitsergebnissen gekommen ist und vor allem auch, welches leitende Interesse im Hintergrund stand.
Eine solche Offenlegung der eigenen Denkvoraussetzungen und Intentionen tritt im modernen Journalismus – von den sozialen Medien ganz zu schweigen – immer mehr in den Hintergrund.
Und das hat fatale Folgen: denn dadurch wird es für uns den Normalbürger weitaus schwieriger, einen Sachverhalt zu beurteilen oder die Argumentation zu durchschauen. Er soll die Botschaft vor allem „schlucken“. Ob er sie wirklich versteht, ist demgegenüber sekundär.
Aber es gibt eine gute Nachricht: und das sind die Hinweise, die sich oft schon im Titel einer Publikation oder im Setting einer Talkrunde verbergen.
Ein Beispiel dazu:
Als die katholische Theologin Ute Ranke-Heinemann 1988 ein Buch mit dem Titel „Eunuchen für das Himmelreich“ veröffentlichte, war mit dieser programmatischen Überschrift schon klar:
Hier handelt es sich nicht um eine ausgewogene Auseinandersetzung mit dem Pflichtzölibat für Priester und seine geistliche Begründung, sondern um eine engagierte Kampfschrift.
Dies entwertet eine solche Publikation natürlich in keiner Weise. Aber als Leser sollte ich mich darauf einstellen, dass in einer „Kampfschrift“ mit Verkürzungen, Verzerrungen und Polemik zu rechnen ist.
Ein anderes Beispiel.
Stellen Sie sich eine Talk Runde im Schweizer Fernsehen vor. Das Thema lautet: „Ist die Kirche noch zeitgemäss?“
Als Gesprächspartner wurden eingeladen:
- eine aus der reformierten Kirche ausgetretene Ex-Kirchenpflegerin
- eine Dragqueen aus der LGBTQ Community
- der Präsident der Jungfreisinnigen in der Schweiz
- ein stark übergewichtiger bärtiger Offizier der Heilsarmee in Uniform und mit Hornbrille
Hier lässt schon das Setting der Teilnehmenden vermuten, dass es so etwas wie eine „hidden agenda“ (verstecktes Ziel) im Hintergrund gibt. Und die dürfte in diesem Fall darin bestehen, die Kirche „zum Abschuss freizugeben“ und den christlichen Glauben als überholt und hinterwäldlerisch zu entlarven.
Ich habe mir daher angewöhnt, genau hinzuschauen, welche Signale der Titel oder das Ambiente eines Fernsehbeitrages sendet. Sind es Signale der Pauschalisierung und der Überzeichnung oder sind es Hinweise, die auf eine differenzierte Herangehensweise hoffen lassen.
Ist ersteres der Fall, erspare ich mir meist den Medienkonsum, denn die Realität dieser Welt ist nun einmal in den seltensten Fällen schwarz oder weiss, sondern findet in den Grautönen statt.
Und das möchte ich gewürdigt wissen.
2. Ich überprüfe die innere Logik und Plausibilität eines Sachverhalts
Ich weiss nicht wie es Ihnen geht: Lange Zeit war für mich die Wissenschaft so etwas wie ein Hort der Sicherheit. Gerade in der Medizin. Wenn es da so etwas wie Untersuchungen eines renommierten Instituts gab, fühlte ich mich einigermassen geborgen.
Was mich an dieser Stelle in gewisser Weise erschüttert hat, war jedoch Einsicht, wie leicht sich mit „Forschungsergebnissen“ Schindluder treiben lässt. Und zwar gerade dann, wenn sie Interessen geleitet sind. Denn dann tritt an die Stelle analytischer Wahrnehmung häufig eine eklektizistisch willkürliche Deutung des vermeintlichen Befundes.
Wen diese Zusammenhänge etwas näher interessieren, dem empfehle ich die Homepage des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in (RWI):
www.rwi-essen.de/unstatistik/.
Denn dieses Institut gibt seit 2012 eine so genannte „Unstatistik des Monats“ heraus, die besonders frappierende Fehldeutungen wissenschaftlicher Ergebnisse als solche entlarvt. Ziel dieses Unternehmens ist es, zur Versachlichung im Umgang mit Forschungsergebnissen und Daten beizutragen.
Eine Tugend, die z.B. im Bereich der Ernährungswissenschaften völlig verloren gegangen ist. Denn dort steht hinter vielen Ergebnissen eine milliardenschwere Pharma- und Nahrungsergänzungsmittelindustrie, der es vor allen Dingen um eins geht: dem Konsumenten eine Mangel- und Fehlernährung einzusuggerieren, um dann in einem zweiten Schritt ihre Produkte optimiert vermarkten zu können.
Die Lebensmittelexpertin und Journalistin Katarina Schickling beschreibt das in diesem Zusammenhang typische Auseinanderreissen von Kausalitäts- und Kor-relationsprinzip so:
„Ein wichtiger Punkt bei der Einordnung von Studienergebnissen ist die Frage, ob es bei den untersuchten Phänomenen tatsächlich ursächliche Zusammen-hänge gibt… oder ob zwei Dinge vielleicht nur zufällig gleichzeitig auftreten… Ein einfaches Beispiel dafür macht deutlich, wie wichtig diese Unterscheidung ist:
Jungpioniere in der DDR trugen als Teil ihrer Uniform ein blaues Halstuch. Nun war die Zahl der Kinder in der DDR, die an Allergien litten, nur etwa halb so hoch wie die von westdeutschen Kindern, die keine blauen Halstücher trugen. Niemand würde nun ernsthaft auf die Idee kommen, blaue Halstücher für eine geeignete Allergieprävention zu halten. Die beiden Umstände treffen zwar zu-fällig zusammen, das eine ist aber nicht ursächlich für das andere.
Doch auf genau diesem Niveau bewegen sich unzählige Studien, die behaupten, dass Kaffeetrinker, Vegetarier oder Olivenölbenutzer länger leben.“ (Katarina Schickling, Aber bitte mit Butter, Herder Verlag, Freiburg 2018, S.50ff
Mit diesem kurzen Ausflug in die Pseudowissenschaften möchte ich Sie und mich dazu ermutigen, im Zweifelsfalle Ihrem gesunden Menschenverstand zu vertrauen und auch selbstbewusst formulierte Forschungsergebnisse auf ihre Plausibilität hin zu hinterfragen.
3. Ich pflege mein geschichtliches Langzeitgedächtnis
Viele Menschen empfinden die sozialen Medien ja als Fluch. Und ehrlich gesagt, ich kann dies teilweise verstehen. Denn es gibt ja nichts, was es im Internet nicht gibt und mit teilweise haar-sträubenden Begründungen weiterverbreitet wird.
Stichwort: Verschwörungstheorien. Allerdings hat das Internet auch grosse Stärken. Es besitzt ein ausgezeichnetes Gedächtnis und vergisst praktisch nichts.
Und darum lassen sich Legendenbildungen, einseitige Geschichtsdeutungen oder Fake News anhand hinterlegter Originaldokumente beispielsweise mittels You tube leicht verifizieren oder falsifizieren.
Gerade in der Bewertung der momentanen politischen Situation erscheint mir dies wichtig. Denn die empfinde ich je länger desto mehr dann doch als etwas irritierend, gerade weil so getan wird, als sei dieser Konflikt völlig überraschend vom Himmel gefallen.
Aber das ist er eben nicht, genauso wenig, wie die gegenwär-tige Klimakatastrophe etwas Überraschendes ist.
Wenn ich es richtig sehe, hat das Ganze hat eine Vorgeschichte von mindestens 30 Jahren. Eine Geschichte der Missverständnisse zwischen Ost und West, nachdem der „Wind of Change“, von dem die Scorpions sangen, zwar einen Teil der Welt erfasste, die Vereinigten Staaten aber beispielsweise eher nicht. In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf You tube durchaus hilfreich.
Denn dort finden sich eine Fülle von historischen Filmdokumenten, die aufschlussreich sind.
Unter anderem:
- ein Interviewausschnitt mit Hans Dietrich Genscher und dem amerikanischen Aussenminister James Baker vom Februar 1990
- Ein Interview mit dem menschlich enttäuschten und frustrierten Michail Gorbatschow aus dem Jahre 2015:
- Und auch die Rede Vladimir Putins auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, die man nur als eine ebenso klare wie unmissverständliche Ansage eines „bis hierhin und nicht weiter“ bewerten kann.
Das Anschauen solcher Originaldokumente macht zumindest mich durchaus nachdenklich.
Weil ich mich beispielsweise frage, wie zwei so grundverschiedene Charaktere wie Vladimir Putin und Michail Gorbatschow, sich so einig sein können in einem sehr verletzenden Gefühl:
dem Gefühl von Menschen und Mächten, denen sie einmal vertraut und die Hand gereicht haben, belogen und betrogen worden zu sein.
Und es ist bekanntlich gefährlich, sehr gefährlich, Menschen in Machtpositionen zu verletzen und zu demütigen. - Man weiss nie, wie sie reagieren.
Der Eine, wie Michail Gorbatschow, geht in die innere Emigration, zieht sich zurück auf seine Datscha. Der andere sinnt auf Rache und wartet auf einen geeigneten Zeitpunkt zurückzuschlagen.
Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht sagen – um nicht am Ende noch als „Putinversteher“ missverstanden zu werden. Denn als Christ liegt mir jedes Verständnis für einen Angriffskrieg fern. Für den in der Ukraine ebenso wie für den seinerzeit im Irak.
Allerdings weiss ich als Seelsorger aus Erfahrung um die verheerenden Abgründe, die sich in einer gedemütigten Seele abspielen. Und welche zerstörerische Eigendynamik aus ihnen erwachsen kann.
Ein geschichtliches Langzeitgedächtnis ist also gefragt. Und ein Blick in die Vergangenheit ist hilfreich. Nicht nur bei der Bewertung dessen, was sich derzeit in Europa abspielt, sondern weltweit.
4. Ich versuche kulturübergreifend zu denken
Manchmal können Menschen von dem Gleichen sprechen und doch nicht dasselbe meinen. Wir kennen dieses Phänomen vermutlich alle aus dem Alltag, vielleicht sogar aus dem Beziehungsalltag. Da sagt eine Frau zu ihrem Gatten: „Du Urs, ich habe den Eindruck, Du liebst mich nicht mehr!“ – Worauf Er ganz entgeistert zurückgibt:„Wie kommst Du denn darauf? Wir haben wir in diesem Jahr doch schon 3x miteinander geschlafen!“
Ein klassisches Missverständnis. Beide sprechen von Liebe, aber denken da of-fensichtlich an sehr unterschiedliche Ausdrucksformen.
Ich habe den Eindruck: In vielen Debatten über Gott und die Welt, vor allem im diplomatischen Bereich verhält es sich ähnlich. Etwa, wenn Europäer und Asiaten über das Thema Menschenrechte debattieren. Mir ist das spätestens im vergangenen Herbst bei der Lektüre der Reden des Konfuzius deutlich geworden. - Nebenbei gesagt, eine eher langweilige und ermüdende Lektüre.
Aber eben wichtig, weil die Philosophie des Konfuzius für Milliarden von Asiaten bis zum heutigen Tag ähnlich prägend ist, wie das Christentum für den Westen. Und wer sich mit dem Konfuzianismus beschäftigt stellt fest: dort ist der Begriff der Menschenrechte völlig anders gefüllt als bei uns.
Die entscheidende Bezugsgrösse für einen Asiaten auch in Fragen der Menschenrechte ist das Gemeinwohl, das Kollektiv. Und von zentraler Bedeutung ist daher nicht die individuelle Freiheit, sondern die Sicherheit. Menschenrecht ist es vor allem, ein geachtetes Teil des Ganzen zu sein und versorgt zu sein mit Wohnraum, Arbeit und dem täglich Brot. Ob ich dagegen tun und lassen kann, was ich will, ist von völlig untergeordneter Bedeutung.
Ganz anders ist es dagegen bei uns! Denn wir sind vom christlichen Abendland geprägt. Und von daher stehen bei uns die individuellen Rechte und die Freiheit des Einzelnen im Zentrum.
Provokativ formuliert: Wir Europäer sehen die Menschenrechte auch dann gewahrt, wenn jemand verhungert. – Solange er sich frei äussern und dagegen beschweren kann. Dass sieht ein Asiate völlig anders!
Warum belästige ich Sie mit diesem Ausflug in den Konfuzianismus? Weil mir eben wichtig geworden ist, dass wir viele Dinge erst dann richtig einschätzen und beurteilen können, wenn es uns gelingt, uns quasi von uns selbst zu distanzieren und uns auf die Welt des Anderen einzulassen.
Denn nur die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung, ermöglicht ein echtes Verständnis des Anderen. Entwickelt jemand diese Fähigkeit dagegen nicht, bleibt er/sie fast zwangsläufig in der eigenen „Bubble“, in der eigenen wie auch immer geprägten Herkunftskultur gefangen.
Auch für die erfolgreiche Integration von Ausländern ist ein interkulturelles Verständnis übrigens eine ständige Herausforderung.
Um es ganz persönlich zu sagen:
Viele Mitglieder der reformierten Kirche Stäfa, könnten mich nicht seit jetzt schon fast 6 Jahren als Pfarrer ertragen, wenn sie nicht die Fähigkeit hätten, zu sagen:„Ja, der Stolli ist manchmal schon ein wenig schräg in seiner Art und sehr direkt in seinen Predigten – aber er ist halt ein Dütscher!“
Und ich selbst versuche natürlich umgekehrt auch, mich von meiner soialen und kulturellen Herkunft zu lösen und Verständnis für manche eidgenössischen Eigenheiten aufzubringen. Wobei mir offen und in teutonischer Direktheit gesagt, beim Schweizer Bankgeheimnis nach wie vor die Haare zu Berge stehen. Aber auch die Grenzen des eigenen Verständnisses zu entdecken, ist bekanntlich wichtig.
5. Ich analysiere die Verwendung sprachlicher und rhetorischer Mittel
Sprache ist verräterisch. Das macht vieles leichter. Denn so ist es möglich, bereits durch aufmerksames Hinhören herauszufinden, ob jemand ein Interesse daran hat, ausgewogen zu informieren, oder ob es darum geht, jemand in eine ganz bestimmte Richtung zu drängen.
Darauf achte ich z.B. gerne bei Talk-Shows.
Stellt der Moderator offene oder geschlossene Fragen? Versucht jemand, Widerspruch im Keim zu ersticken? Indem er z.B. auf Floskeln zurückgreift wie: „Es kann ja wohl kein Zweifel darüber bestehen, dass…“oder: „Wir sind uns doch wohl einig darüber…usw.
Beliebt ist auch, gerade im Bereich des so genannten „investigativen Journalismus“, der Rückgriff auf die Stilmittel von Ironie und Sarkasmus. Beide möchte ich einmal als die „dunkle Seite“ des Humors bezeichnen. Gerade die Ironie kommt elegant daher, verrät aber häufig eine Schwäche in der Argumentation, insofern es der rhetorische Versuch ist, etwas ins Lächerliche zu ziehen, was eigentlich ernst genommen werden sollte.
Allerdings sollte man hier unterscheiden: In der Situation der Machtlosigkeit kann Ironie manchmal das einzige Mittel sein, eine Wahrheit gefahrlos auszu-sprechen. Ich denke da z.B. an die Situation der Pfarrer in der früheren DDR wie etwa an den bekannten Chemnitzer Jugendevangelisten Theo Lehmann. Er bediente sich gerne des Stilmittels der Ironie und der uneigentlichen Rede, wenn er wusste: „die Stasi hört mit!“
So provozierte er die Machthaber seines Staates Anfang der 80ziger Jahre in einer Predigt über die Eroberung Jerichos (Josua 6) durch die lapidare Bemerkung:
„Und es ging ein Gerücht im Volke Israel um: An der Mauer wird geschossen!“ – Angesichts der Ereignisse an der deutsch-deutschen Grenze damals eine direkte Anspielung und Affront. Und natürlich wurde Lehmann wegen sarkastischen Bemerkungen sowohl von der Stasi als auch von der Kirchenleitung immer wieder vorgeladen. Aber letztlich war ihm nichts nachzuweisen.
Ironie bzw. uneigentliche Rede als Sprache der Machtlosen. Das ist legitim!
Etwas völlig anderes ist es dagegen, wenn das Stilmittel der Ironie oder des Sarkasmus als Machtmittel eingesetzt wird. Denn dann dient diese dunkle Seite der Rhetorik dazu, eine Minderheit zu stigmatisieren oder sie moralisch an die Wand zu stellen.
Auch das kennen wir.: Etwa wenn da Menschen in jüngster Vergangenheit immer häufiger, aufgrund ihrer Haltung zu bestimmten Fragen pauschal als „Querdenker“, „homophob“ oder „Putinversteher“ bezeichnet werden.
Etikettierung als probates Mittel der Verunglimpfung. Ein unscheinbar elegantes Propagandatool gerade in unseren westlichen Medien. Achten Sie einmal darauf und bewerten Sie es für sich selbst kritisch.
6. Ich informiere mich über die Herkunft und Integrität der verwendeten Quellen
Ich denke, an dieser Stelle brauche ich nicht allzu viele Worte zu verlieren, weil Ihnen vermutlich klar ist, was gemeint ist.
Der Satz: „Ich weiss, dass ich nichts weiss!“ gilt im Munde eines Sokrates als Inbegriff philosophischer Weisheit. Spricht ihn dagegen ein neunjähriger Primarschüler aus, regt dies eher zum Schmunzeln an. Vor allem, wenn er damit vielleicht begründen will, warum es eigentlich sinnlos ist, in die Schule zu gehen. Es lohnt sich genau hinzuschauen, wer da irgendwelche Weisheiten und neuesten Erkenntnisse in die Welt setzt.
Und an dieser Stelle wundere ich mich dann schon, mit welcher Naivität, manche Zeitgenossen bereit sind, irgendwelchen Verschwörungstheorien zu folgen, die sich auf höchst dubiose Quellen stützen.
Auf ein anderes Kriterium zur Beurteilung von Quellen und Aussagen weist der syrische Risikoforscher Nassim Nichholas Taleb in seinem Buch „Skin in the game“ hin . Er ermutigt uns nämlich darauf zu achten, inwieweit ein Mensch mit dem, wofür er eintritt, selbst verhaftet ist oder nicht.
Vereinfachend gesagt, geht es dabei um Folgendes: Wenn ein Vermögensberater Ihnen eine Kapitalanlage ans Herz legt, in die er selbst einen Teil seiner Altersversorgung gesteckt hat, dann ist dies tendenziell vertrauenswürdiger, als wenn jemand Ihnen ein Aktienpaket empfiehlt, dass die Bank zufällig in Ihrem Portfolio hat und daher verkaufen möchte. Es ist klar warum.
Denn natürlich kann sich auch der erste Vermögensberater irren. Aber er wird tendenziell vorsichtiger sein, weil er im Falle einer Fehleinschätzung die Folgen seines Irrtums selbst zu spüren bekommt.
Es lohnt sich also, über das Verhältnis des Urhebers einer Theorie zu seinen Überzeugungen nachzudenken. Um es einmal religiös zu formulieren: Jesus Christus hat sich auf das, was er sagte und wofür er eintrat, im wahrsten Sinne des Wortes festnageln lassen. Andere dagegen ergreifen die Flucht, wenn es für sie eng wird. Darin besteht eben ein wesentlicher Unterschied.
7. Ich verwurzele mich in einer überzeugenden Glaubenstradition
Wer sich in dieser verwirrenden Welt zurecht finden will, der braucht einen klaren Kompass. Und auch wenn uns Christus nicht zu allen gesellschaftlichen und politischen Fragen eine konkrete Weisung mit auf den Weg gegeben hat, so können wir doch eins festhalten:
Gott ist nach dem Zeugnis der Bibel ein Gott, der Wahrheit und der Klarheit und ein Gott der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens.
Und mit diesen Kriterien ausgestattet ist es durchaus möglich, sich mit Herz und Verstand einen Weg durch das Dickicht der Meinungen zu suchen. Darum bin ich glücklich Christ zu sein und vor allem auch glücklich darüber, ein eifriger Bibelleser zu sein.
Denn die Bibel schenkt mir eine gesunde kritische Distanz gegenüber allem, was sich als Zeitgeist ideologisch selbst überhöht oder von sich behauptet, unhinterfragbar richtig und wichtig zu sein.
Natürlich kann ich mich auch mit der Bibel in der Hand in der einen oder anderen Streitfrage irren. Das ist auch der Grund, warum sich auch Christen durchaus nicht immer in allen ethischen Konflikten einig sind.
Aber das ist auch nicht nötig, solange jeder einzelne von uns bereit bleibt, sich selbst in Frage stellen zu lassen und dem Heilandsruf Jesu Folge zu leisten:
„Metanoiete! Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Mk, 1,14
Kurzzusammenfassung und Literaturhinweise:
Themengottesdienst 17.7.22
Stäfa, im Juli 2022